Hör genau hin
„Das darf doch nicht wahr sein. Er ist so ein Sturkopf!“, zetert Mila. Sie ist außer sich vor Zorn. Ihr Mann Wiktor versteckt sich hinter der Tageszeitung. Diese Diskussion will Wiktor nicht schon wieder führen. Es geht nämlich um Milas Vater und was ihn betrifft, will er sich da nicht einmischen. Die beiden sind nämlich dieselben Sturköpfe. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, denkt Wiktor bei sich. „Sag du doch auch mal was, Wiktor.“ „Nein, Mila, das Thema hatten wir schon so oft, es ist dein Problem und das deines Vaters. Ich möchte dazu nichts mehr sagen. Du weißt, wie dieses Gespräch das letzte Mal geendet hat“, erwidert Wiktor mit ruhigem Ton.
Das letzte Mal war zu Milas Geburtstag. Das Problem an diesem Tag war, dass Milas Vater heimgebracht werden wollte, und zwar von Mila selbst. Barsch erklärte sie ihm, dass sie die Gastgeberin ist und er doch mit der Pflegerin heimfahren kann. Die beiden stritten eine Zeit lang und bedrückt fuhr der Vater mit der Pflegerin heim. Nach der Feier, fragte Wiktor, ob es so schlimm gewesen wäre, den Vater schnell heimzubringen. Dann stritten Wiktor und Mila die ganze restliche Nacht.
Jetzt ist Weihnachten und Wiktor möchte die Familienfeier ruhig und besinnlich abhalten. „Aber er kann mir doch nicht vorschreiben, was ich kochen soll. Und abholen soll ich ihn auch, obwohl seine Pflegerin ihn fahren könnte. Immerhin zahlen wir genug Geld für die Frau. Er droht mir ständig, mich zu enterben. Wie senil kann man sein, er hat mir doch schon alles überschrieben.“ Aber Mila redet mehr mit sich selbst. Sie hat verstanden, dass Wiktor sich raushält. Sie nimmt ihre Tasche, den Autoschlüssel und drückt Wiktor einen Kuss auf die Wange. „Ich gehe jetzt einkaufen, damit der gnädige Herr seinen doofen Braten bekommt, obwohl er Rindfleisch hasst.“ Mila stampft bei der Tür hinaus und Wiktor widmet sich wieder seiner Zeitung. Rindsbraten ist sowieso besser, als das langweilige Fondue jedes Jahr, denkt Wiktor bei sich.
Es ist Heiliger Abend und alles ist geschmückt. Der Duft des Bratens liegt in der Luft. Wiktor kann die kurze Stille genießen, denn Mila ist auf dem Weg zu ihrem Vater, aber er hat kein gutes Gefühl. Das Telefon klingelt. „Hallo?“, fragt Wiktor in den Hörer. „Schatz, du musst schnell kommen, Vater liegt auf dem Boden und bewegt sich nicht. Die Pflegerin kann ich nicht finden. Kommt bitte.“ „Beruhig dich, ich bin auf dem Weg.“ Wiktor dreht den Herd ab und schnappt sich seine Autoschlüssel. Als er vor dem Haus des Schwiegervaters ankam, war der Krankenwagen bereits da. Der alte Mann wurde gerade auf einer Trage in den Wagen gehievt. „Oh, Wiktor. Ich hab so Angst, er ist nicht bei Bewusstsein und die Sanitäter wissen noch nicht, was er hat. Die Pflegerin hat sich scheinbar aus dem Staub gemacht. Überall im Haus sind Vaters Sachen verstreut. Wenn ich dieses Miststück erwische.“ „Komm, lass uns hinter dem Krankenwagen nachfahren. Schließ ab hier“, beruhigt Wiktor sie.
„Ihrem Vater geht es gut. Er hat ein Hämatom am Hinterkopf von einem Schlag mit einem schweren Gegenstand. Er ist aber wieder wach und sie können zu ihm hineingehen“, sagt der behandelnde Arzt. Mila und Wiktor gehen an der Rezeption der Station vorbei zum Krankenzimmer. „Vater!“ Mila stürmt zum Krankenbett und umarmt ihren Vater. Wiktor lächelt ihn an und der Vater lächelt zurück. Nachdem sich Mila von der Umarmung gelöst hat, fragt sie: „Was ist passiert?“ „Nun, die Pflegerin hat sich als Gaunerin entpuppt. Sie hat mich erpresst und nachdem ich ihr zum wiederholten Mal gesagt hab, dass sie von mir nichts bekommt, hat sie mich niedergeschlagen. Mila, ich hab versucht, dich darauf aufmerksam zu machen. Versteckt, damit die Verbrecherin nichts davon mitbekommt.“ „Oh mein Gott, Vater, ich war so engstirnig. Ich hab es nicht gecheckt. Es tut mir so leid.“ „Keine Sorge. Ich hab nichts im Haus, was ihr gefallen könnte. Sie kann höchstens meine alten Unterhosen unter den Weihnachtsbaum legen.“ Wiktor lacht. Mila lächelt und umarmt ihren Vater noch einmal.
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